Rudolph ist krank

 

 

 

Die meisten Leute kennen sicher die Geschichte von Rudolph. Das war das erste Rentier mit einer leuchtenden, roten Nase. Als er geboren wurde, da wussten seine Eltern gleich, dass er etwas ganz Besonderes war. Sie liebten ihn genauso wie alle ihre anderen Kinder und waren sehr stolz auf ihn. Leider hatten die anderen Rentiere das nicht verstanden und ihn oft gehänselt. Darüber war Rudolph natürlich sehr traurig, aber der gute Weihnachtsmann hatte ihn ganz lieb getröstet und ihm versichert, dass er  seine rote Nase sogar schön fand. Aber Rudolph´s große Stunde kam, als es in dem Jahr zu Weihnachten einen ganz besonders schlimmen Schneesturm gab. Es schneite heftig und in ganz dichten Flocken, sodass man kaum noch die Hand vor seinen Augen sehen konnte. Der Weihnachtsmann machte sich zum ersten Mal ernsthafte Sorgen, ob er bei diesem Wetter überhaupt mit seinem Schlitten voller Geschenke zur Erde hinunter fahren konnte. Eigentlich kannten seine Rentiere Donner und Blitz den Weg ja längst auswendig, aber auch sie konnten bei dem scheußlichen Wetter kaum etwas sehen. Was wäre, wenn sie den Weg verfehlen würden?  Die beiden waren sehr unruhig und hatten große Angst. Aber was würden die Kinder sagen, wenn es in dem Jahr keine Weihnachtsgeschenke gab? Nein, das war undenkbar, entschied der Weihnachtsmann und kratzte sich  dann unschlüssig am Kopf. Da hatte seine Frau eine gute Idee. Sie fragte ihn: „Warum vertraust Du nicht Rudolph die Führung des Schlittens an, seine Nase leuchtet doch so hell wie eine Laterne. Damit findet Ihr den Weg zur Erde ganz bestimmt!“

 

Der Weihnachtsmann befolgte ihren Rat und fragte Rudolph, ob er sich das  zutrauen würde. Rudolph überlegte keinen Augenblick. Endlich konnte er beweisen was in ihm steckte. Und mit seiner Hilfe konnte der Weihnachtsmann auch in dem Jahr zur Erde hinunter fahren und den Kindern ihre Geschenke bringen. Als sie zurück kamen, da lachte keines der Rentiere mehr über den tapferen Rudolph, sondern alle bewunderten ihn für seinen Mut. Seit der Zeit gibt es immer wieder Rentiere, die mit einer leuchtenden roten Nase auf die Welt kommen. Und jedes Mal ist es ein Rudolph, der den großen Schlitten des Weihnachtsmannes anführen darf, auch wenn das Wetter gut ist.

 

 

 

Im letzten Jahr hatte Mama Rentier gleich zwei Kälbchen mit leuchtend roter Nase auf die Welt gebracht, das waren Rudolph und seine Schwester Elvira. So etwas war bis dahin noch nie vorgekommen, und dieses seltene Ereignis hatte im Himmel für große Aufregung gesorgt. Natürlich waren auch der Weihnachtsmann und seine Frau gekommen, um sich die beiden Kleinen anzuschauen.

 

„Das ist bestimmt nicht ohne Grund geschehen“, vermutete die Frau des Weihnachtsmannes.

 

„Meinst Du?“, fragte der verwundert, konnte aber in dem Augenblick auch keine Erklärung für diese Laune der Natur finden. Es war einfach merkwürdig. -

 

Rudolph und auch seine Schwester entwickelten sich prächtig, und so sollte der junge Rudolph in diesem Jahr den großen Schlitten des Weihnachtsmannes anführen. Natürlich freute er sich schon mächtig auf diese Ehre. Seine Schwester beneidete ihn nicht wenig darum und schmollte, weil sie zuhause bleiben sollte.

 

„Warum können wir nicht beide mit zur Erde fahren?“, fragte sie immer wieder.

 

Ihre Mama beruhigte sie, indem sie erklärte: „Es ist schon so lange eine bewährte Tradition, dass ein Rudolph aus unserer Familie den Schlitten des Weihnachtsmannes anführt, daran ist nun mal nichts zu ändern!“ Allerdings kam in diesem Jahr alles ganz anders.

 

 

 

Rudolph hatte sich wenige Tage vor dem Weihnachtsfest ganz tüchtig erkältet. Er hatte Halsweh, hustete und schniefte ganz schrecklich. Seine Eltern machten sich große Sorgen um ihn, weil er offenbar auch Fieber hatte und ständig schwitzte. Die Frau des Weihnachtsmannes kam und brachte ihm eine scheußlich schmeckende Medizin.

 

„Die gebe ich meinem Mann auch immer, wenn er krank ist“, sagte sie erklärend. Außerdem hatte sie einen langen, selbst gestrickten roten Schal   mitgebracht, den sie ihm eigenhändig um den Hals wickelte.

 

„Du musst doch bis zum Heiligen Abend wieder fit sein, mein lieber Rudolph“, meinte sie fürsorglich und tätschelte ihm liebevoll den Kopf. Der rote Schal leuchtete genauso wie seine Nase. Das machte ihren Bruder noch interessanter, dachte Elvira ein wenig neidisch. Rudolph selbst wollte natürlich auf jeden Fall bis zum Heiligen Abend wieder fit sein, daher trug er den Schal mit Stolz und Freude, außerdem war es ja ein Geschenk von Frau Weihnachtsmann. Als der Heilige Abend gekommen war, fühlte Rudolph sich zwar schon deutlich besser, aber so richtig gesund war er noch lange nicht, das spürte er selbst. Daher wollte der Weihnachtsmann ihm jetzt keinesfalls die anstrengende Reise zur Erde zumuten.

 

„Der Himmel ist sternenklar, und wir finden den Weg heute ganz sicher auch so, lieber Rudolph. Du musst Dich erst richtig auskurieren. Mit so einer bösen Halsentzündung ist nicht zu spaßen“, sagte er. „Sei nicht traurig, Du kannst sicher noch viele Jahre lang meinen Schlitten anführen“, bat er Rudolph, der mit hängendem Kopf vor ihm stand.

 

„Darf  ich stattdessen mitfahren?“, fragte Elvira eifrig. „Den Kindern wird es gewiss nicht auffallen, dass ich ein weibliches Rentier bin, aber sie erwarten doch alle, dass Rudolph mit der roten Nase den Weihnachtsmann begleitet.“

 

Der Weihnachtsmann stutzte und wollte kurz über diesen ungewöhnlichen Vorschlag nachdenken, aber seine Frau meinte gleich resolut: „Warum denn nicht? Du erinnerst Dich doch gewiss daran, dass ich gesagt habe, dass es bestimmt einen Grund hat, warum im letzten Jahr gleich zwei Rentierkälbchen mit einer roten Nase auf die Welt gekommen sind – nun jetzt weißt Du warum das so war.“

 

Dabei zwinkerte sie Elvira schnell verschwörerisch zu und raunte ihr ins Ohr: „Außerdem müssen wir Frauen in dieser Männerwelt doch zusammenhalten, nicht wahr Elvira?“

 

Die nickte heftig und scharrte mit den Hufen vor Aufregung.

 

Auch das kleine Engelchen Philippa, das den Weihnachtsmann am Heiligen Abend auf seiner Reise zur Erde begleiten durfte, war sofort hellauf begeistert von dieser Idee. Es bestürmte den unentschlossenen Weihnachtsmann ebenfalls zuzustimmen.

 

„Na gut, versuchen wir es“, gab der Weihnachtsmann  nach. Und so geschah es auch. Auf der Erde hat natürlich niemand den Unterschied gemerkt. Als Elvira zurück kam, war sie sehr glücklich und berichtete Rudolph und ihren Eltern aufgeregt von ihren Erlebnissen.

 

„Aber im nächsten Jahr fahre ich ganz bestimmt auch wieder selbst mit dem Weihnachtsmann zur Erde!“, verkündete Rudolph mit heiserer Stimme.

 

„Klar doch“, stimmte Elvira ihm zu.

 

Sie nahm sich vor, noch einmal mit der Frau des Weihnachtsmannes zu sprechen. Vielleicht war im nächsten Jahr wieder schlechteres Wetter, und wenn das so war, dann konnte der liebe Weihnachtsmann möglicherweise auch zwei Rentiere vor seinen großen Schlitten spannen, die es ihm mit ihren leuchtenden Nasen erleichterten den Weg zur Erde besser zu finden.