Ein seltsames Christkind

 

 

 

Wie in allen anderen Häusern der St. Jacobus-Gemeinde herrschte auch im Pfarrhaus große Vorfreude auf das kommende Weihnachtsfest. Der junge Pfarrer Voß war erst vor kurzem hierher versetzt worden; um genau zu sein, war das seine erste eigenständige Pfarrstelle. Deshalb wollte er zu seinem ersten Weihnachtsfest hier ganz besonders gut vorbereitet sein und hatte lange an seiner Predigt für den Heiligen Abend gefeilt, bis er endlich damit zufrieden war. Seine Haushälterin hatte bereits tagelang verschiedene Kekssorten gebacken, das Pfarrhaus gründlich geputzt und sich Gedanken über das weihnachtliche Festmenü gemacht. Einige ehrenamtliche Damen der Gemeinde hatten die altehrwürdige Kirche auf Hochglanz gebracht und entsprechend festlich hergerichtet. Auf dem Altar waren zwei Tannensträuße in großen Vasen arrangiert, und in der rechten Ecke des hohen Raumes stand der hohe, geschmückte Tannenbaum und funkelte im Licht der Kerzen.

 

 

 

Auch die alten Krippenfiguren waren von den fleißigen Helferinnen aufgebaut worden, allerdings fehlte noch die Hauptperson, das Jesuskind. In dieser Pfarre war es von jeher Tradition, dass einige Kindergartenkinder diese letzte Figur in einer feierlichen Prozession direkt zu Beginn der ersten Christmesse am Heiligen Abend in die Krippe legen durften. Dazu wurden in der Regel einige der Jüngsten ausgesucht, die dann im Engelskostüm erschienen, um diese wichtige Aufgabe zu übernehmen. In diesem Jahr waren es drei kleine Mädchen und zwei Jungen, denen dieses Amt zugefallen war. Stolz marschierten die Kleinen hinter ihrer Erzieherin her, und Henri trug glücklich und sehr vorsichtig das kostbare Christkind auf seinem Arm. Aber als das kleine Grüppchen vor der Krippe stand, war die keineswegs wie erwartet leer, sondern schon von einem winzigen, getigerten Kätzchen besetzt. Als die Kinder das Katzenkind sahen, brachen sie in lauten Jubel aus. Davon erwachte das ungewöhnliche Christkind, während die Kirchenglocken und die volltönende Orgelmusik es bisher nicht geschafft hatten es zu stören. Die kleine Katze reckte und streckte sich ausgiebig, und hob dann ihr Köpfchen, so dass die Besucher in den ersten Reihen der Kirche auch sehen konnten, worüber sich die Kinder so freuten. Behutsam nahm die Erzieherin das Kätzchen hoch und übergab es der Haushälterin des Pfarrers, die es schnell nach draußen brachte. Anschließend sah die Engelschar dabei zu, wie Henri das richtige Christkind an seinen Platz in der Krippe legte. Dann konnte die festliche Weihnachtsmesse endlich beginnen.

 

 

 

Die Weihnachtskrippe blieb noch einige Wochen in der Kirche aufgestellt, damit auch die Besucher, die außerhalb der Gottesdienste in die Kirche kamen, sie bewundern konnten. Und obwohl die Haushälterin von Pfarrer Voß mehrmals täglich kontrollierte ob alles in Ordnung war, hatten immer wieder einige Leute das Glück gleich zwei Christkindchen in der Krippe anschauen zu können. Denn der kleinen Katze hatte ihr Strohlager so gut gefallen, dass es ihr nichts ausmachte, es mit dem Jesuskind zu teilen. Im Gegenteil, sie schien mit ihrem mageren, kleinen Körper das zarte Kind wärmen zu wollen und schaffte es immer wieder mit in die Kirche zu huschen, wenn die Tür sich öffnete.

 

 

 

Da sie offenbar nirgends zuhause war, bekam sie im Pfarrhaus ab und zu eine Kleinigkeit zu fressen, und bald stellte sie sich jeden Tag dort ein.

„Du bist unsere Weihnachtskatze“, meinte Pfarrer Voß. Deshalb gab er ihr den Namen Mary. Und bald war die kleine Katze aus dem Pfarrhaushalt gar nicht mehr wegzudenken.